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Meves' Originalton OWL: Isso! Kannse Ulla fragen!

Lübbecke -

Blamage-Empfang Lübbecke

450 Jahre Blasheimer Markt: Lübbeckes Bürgermeister Frank Haberbosch (links) und SPD-MdB Achim Post nehmen den einstigen SPD-Spitzenmann Sigmar Gabriel in ihre Mitte. 

Ein bisschen Oktoberfest, ein bisschen politischer Aschermittwoch, ein bisschen Kabarett – dieser „Neujahrsempfang“ der Stadt Lübbecke hatte von allem ein bisschen etwas. Und so wurde Freitagmittag die Feierstunde anlässlich des 450. Blasheimer Marktes zu einem Bürgertreffen, dessen Erfolg so nicht vorauszusehen war. Jedenfalls amüsierten sich die 500 Gäste, die sich rechtzeitig eine Eintrittskarte gesichert hatten, prächtig bei den Redebeiträgen des OWL-weit bekannten Kabarettisten Harald Meves und des Lübbecker Bürgermeisters Frank Haberbosch. Dass Sigmar Gabriel reden kann, weiß man aus seiner langen politischen Vergangenheit. Und auch der als Festredner für diesen Empfang verpflichtete ehemalige Vizekanzler, Ex-Bundesaußenminister und Ex-SPD-Parteichef bestätigte die landläufige Ansicht, dass Politiker in gewisser Weise „Unterhaltungskünstler“ sein müssen, wollen sie ihr Publikum erreichen. Ihm gelang dies jedenfalls großartig, wie auch sein Applaus eindrucksvoll unterstrich.  

In der vom Lübbecker Schützen-Musik-Corps musikalisch umrahmten zweistündigen Veranstaltung im Festzelt Meier’s Deele füllte Harald Meves die Pausen zwischen den beiden Rednerauftritten mit Nachhilfeunterricht. „Den Ostwestfalen kennen und verstehen lernen“ war sein Motto – besonders für die gedacht, die nicht „von hier wech sind“ und somit als „Auswärtige ja so etwas wie Migrationshintergrund haben“. Vorurteile gegen den Ostwestfalen an sich sind weder gerechtfertig noch angebracht, bewies Harald Meves anhand von Beispielen aus Sprache und Mimik. „Isso ist die letztgültige Wahrheit. Mehr geht eigentlich nicht, außer es wird hinterher geschoben: Kannse Ulla fragen. Darüber geht wirklich nichts mehr“, berichtete Meves aus dem realsatirischen ostwestfälischen Leben unter dem Gelächter und Beifall der Festbesucher. 

Bei so viel Lockerheit wollte Lübbeckes Bürgermeister offensichtlich nicht nachstehen und machte die Deelen-Bühne auch zur Kleinkunst-Bühne. Nach der Begrüßung verschiedener Ehrengäste und Amtskollegen sowie dem Dank an Polizei und Feuerwehr für ihren Volksfest-Einsatz und an die Mitarbeiter seiner Verwaltung für die perfekte Organisation des Festes sagte er, Blasheim sei älter als Berlin, Hannover und Leipzig. „Und auch älter als Goslar“, meinte er süffisant mit Blick auf Sigmar Gabriels Geburtsstadt Goslar. Somit habe man hier wie in der Stadt Lübbecke überhaupt allen Grund, „etwas auf uns zu halten“. 

Bei der Überlegung, wie man die 450-Jahrfeier gestalten solle, sei man auf die Idee eines zeitlich versetzten Neujahrsempfangs gekommen: „Neujahrsempfänge zum Jahresstart gibt es überall; ihn mitten ins Jahr zu legen, ist außergewöhnlich. Und somit haben wir damit jetzt ein Alleinstellungsmerkmal.“ Welche Bedeutung der Blasheimer Markt für die Menschen in der Region habe, sei ihm spätestens bei der Geburt seines Sohnes klar geworden: Als nämlich der damalige Klinikchef Dr. Rache auf eine Entbindung vor dem Markt gedrungen habe, damit ihn niemand vom Blasheimer Markt holen müsse. Und so kam mein Sohn am 6. und nicht erst am 9. September zur Welt...“

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Bei so viel Spaß darf aber auch ein bisschen Ernst nicht fehlen. Haberbosch sprach dabei die Probleme des Entwicklungsraumes Land an, die er allerdings ganz im derzeitigen Politik-Sprech als „Region mit besonderen Herausforderungen“ umschrieb, auf die man mit Lösungen reagiere. So bilde Lübbecke gemeinsam mit der Stadt Espelkamp eine robuste Wirtschaftsachse in der Region. Und dann hatte Haberbosch noch einen „Werbeblock“ auf der Liste, wie man ihn so wohl auch noch nicht gehört hat. „Lübbecke steht nicht unbedingt für pure Gesundheit“, meinte der Bürgermeister – und zählte locker auf: „Hier kann man Barre-Pils genießen, eine gute Zigarre rauchen, sein Glück probieren und ein bisschen spielen, natürlich zum Volksfest Blasheimer Markt gehen, sich bei Müdigkeit auf einer Matratze aus dem Hause BeCo ausruhen und die wundgelaufenen Füße mit Gehwol-Produkten pflegen.“ Besser kann man Werbung für die heimische Industrie nicht platzieren, und der Beifall zeigte, dass ihn die Gäste verstanden hatten.

Dann war Sigmar Gabriel an der Reihe. Ihm sei aufgefallen, dass Gerhard Schröder der letzte „große“ Sozialdemokrat gewesen sei, der beim Blasheimer Markt aufgetreten sei. „Das kommt mir so vor, als holt Ihr die Sozis erst hierher, wenn alles vorbei ist“, sagte er unter dem Gelächter seiner Zuhörer mit Blick darauf, dass Schröder als Ex-Kanzler gekommen sei und er selbst ja mittlerweile auch Ex-Politiker sei. Überraschend sei für ihn auch, dass er allein als Vertreter einer Partei eingeladen worden sei, deren Spitzenpersonal fast nur noch im Doppelpack auftrete. 

In seine Spaßbeiträge wie den Rückblick auf seine eigene Zeit als Bierfahrer bei der Einbecker Brauerei baute Gabriel ebenso geschickt wie locker wichtige Botschaften ein wie die: „Wir müssen aufpassen, dass wir Balance und Richtung nicht verlieren. Wir kümmern uns zu viel ums Gestern und Heute – und zu wenig um das Morgen; wir müssen an unsere Enkel und deren Zukunft denken. Wir dürfen nicht glauben, alles bleibt so, wie es jetzt ist; die Kräfte verändern sich. China, woher ich gerade komme, ist hungrig, die Menschen dort wollen raus aus der Armut. Und wir müssen aufpassen, nicht in eine Welt zu rutschen, in der wir zwischen den USA und China hin- und hergeworfen werden.“ 

Mit Blick auf die derzeit die Medien beherrschenden Populisten meinte Gabriel, dass es letztlich nur „10 bis 15 Prozent Irre“ seien, die sich nach dem Motto verhielten „Der größte Ganove kriegt die dickste Schlagzeile“. Das sei aber eben die Haltung einer nur kleinen Minderheit. „Wer hätte gedacht, dass wir nach dem Zweiten Weltkrieg, nach Mord und Totschlag, in weniger Zeit als einem Menschenleben zu einem friedlichen Europa gefunden haben?! Es ist nicht alles perfekt in Deutschland und Europa, aber es ist das beste Deutschland, das es in seiner Geschichte je gab“, stellte er unter anhaltendem Beifall seiner Zuhörer fest – und verabschiedete sich zünftig mit „Alles Gute, Glück auf und Prost Neujahr!“ 

Mit einer Produkt-Sonderedition aus dem Hause Barre dankte Frank Haberbosch seinem Festredner Sigmar Gabriel fürs Kommen und bat ihn um eine Unterschrift im Goldenen Buch der Stadt Lübbecke. Nach stärkender Suppe dann der letzte Auftritt gemeinsam mit Gambrinus, dem Schutzpatron der Bierbrauer: Vor dem Zelt wartete ein Fass Bier, das Sigmar Gabriel gekonnt anschlug, verkostete, für gut befand und zum „Verzehr“ frei gab.