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Glaube in der Verfolgung: Weg der Erinnerung 2023

Lübbecke -

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Gottesdienst und Versammlung am Markplatz in Lübbecke mit Pfarrer Güse am 01. Mai 1933. Foto: Stadtarchiv Lübbecke

Seit vielen Jahren gedenkt Lübbecke am 9. November mit einem „Weg der Erinnerung“ des Schicksals seiner jüdischen Bevölkerung und anderer Verfolgter in der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte. Die diesjährige Auflage steht unter dem Motto „Glaube in der Verfolgung – Religiöse Gemeinschaften in der Zeit des Nationalsozialismus“. Die Veranstaltung wird gestaltet von Schülerinnen und Schülern der Stadtschule, des Wittekind-Gymnasiums und des Berufskollegs. Sie beginnt am 9. November 2023 um 16 Uhr im Gemeindehaus der katholischen Kirchengemeinde am Niederwall. Der gemeinsame Weg führt dann über den Wappenplatz in der Langen Straße und den Marktplatz zum Platz der Synagoge.

Wer sich mit den NS-Vorstellungen zu Glaube und Religion beschäftigt, muss den Blick mindestens bis in die 1920er Jahre zurückrichten. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und der Hyperinflation war die junge Demokratie der Weimarer Republik einer schweren Bewährungsprobe ausgesetzt. Bürgerkriegsähnliche Zustände drohten. Große Teile der Bevölkerung gingen auf Konfrontationskurs zur demokratischen Reichsregierung unter Gustav Stresemann. Selbst ernannte Verkünder politischer „Heilslehren“ hatten Hochkonjunktur und überboten sich geradezu mit reißerischen Parolen.

Einer von ihnen war Adolf Hitler. Die rechtsgerichtete NSDAP konzentrierte sich zunächst auf die bayerische Landeshauptstadt München. Mit Hilfe der Sturmabteilung (SA) und bewaffneter Einwohnerwehren unternahm Hitler am Abend des 8. November 1923 gemeinsam mit Erich Ludendorff einen Putschversuch. Hitler rief die „Nationale Revolution“ aus und erklärte die bayerische und auch die Reichsregierung für abgesetzt. Am Morgen des 9. November marschierten – Hitler und Ludendorff voran – mehrere Tausend Protestlerìnnen und Protestler zum Teil schwer bewaffnet zur Feldherrenhalle. Dort gelang es der Polizei, den Putsch mit Waffengewalt zu beenden. Der Umsturzversuch war gescheitert. In der Folge wurde Hitler verhaftet und die NSDAP reichsweit verboten. Wegen Hochverrats wurde Hitler zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Die (verkürzte) Haftzeit nutzte er dazu, sein Pamphlet „Mein Kampf“ zu schreiben. Der Putsch wurde von der NS-Propaganda ab 1933 reichsweit zu jährlichen pompösen Gedenkfeiern für die „Helden der Bewegung“ genutzt.

Die NSDAP präsentierte sich als Partei, deren Weltanschauung zwar im weitesten Sinne christlich geprägt aber konfessionell ungebunden sei. Deshalb gab es schon bald zahlreiche Kirchenaustritte von Parteimitgliedern. Seit 1936 wurde von den Meldebehörden bei jenen Menschen, die der Evangelischen oder Katholischen Kirche durch Austritt den Rücken gekehrt hatten, „gottgläubig“ als Religionszugehörigkeit eingetragen. Meist handelte es sich dabei um Personen mit großer ideologischer Nähe zur NSDAP. Die später auch bei Hitler wiederkehrenden typischen völkisch-rassistischen Überzeugungen verstanden „Religion“ denn auch als eine Art Weltanschauung: Gemeinnutz vor Eigennutz, d. h. die „deutsche“ und „arische“ Gesellschaft, oft als „Volksgemeinschaft“ bezeichnet, sollte oberste Priorität haben. Hitler selbst wurde in der Propaganda zunehmend mythisch überhöht als „Heilsbringer“ und „Erlöser“. Damit wurde er quasi „gottgleich“, angeblich unbesiegbar und von vielen als vermeintlicher „Superheld“ gefeiert.

Zur Zeit des Nationalsozialismus gehörten die meisten Menschen im damaligen Kreise Lübbecke der evangelischen Kirche an. Die katholische Kirche war, ebenso wie die jüdische Gemeinde, in der Minderheit. Hinzu kamen mehrere weitere Glaubensgemeinschaften wie die Zeugen Jehovas oder die sogenannte „Freytagsgemeinde“. Moslems lebten seinerzeit nach bisherigem Kenntnisstand noch nicht in Lübbecke.

Der diesjährige „Weg der Erinnerung“ zeigt, welche Auswirkungen die NS-Ideologie und -Gesetzgebung für die Ausübung des Glaubens hatte. An die Ausgrenzung, Flucht, Verfolgung, Deportation und Ermordung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger wird ebenso erinnert wie an die Aufsplittung der evangelischen Kirche in die Bekenntnisbewegung und die Deutschen Christen, an das Reichskonkordat und dessen Auswirkungen auf die katholische Kirche in Lübbecke sowie auf die Ereignisse in anderen Glaubensgemeinschaften hier vor Ort.

Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Lübbecke und der "Weg der Erinnerung"

Quellen zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Lübbecke führen bis ins Mittelalter zurück. Steinernes Zeugnis ist der sogenannte "Peststein" am Nordportal der heute evangelischen St.-Andreas-Kirche. Er verweist auf die Erweiterung der Kirche bis 1350 sowie auf die damals herrschenden Zeitumstände (Pest, Geißler, Judenpogrom).

Später gab es über Jahrhunderte hinweg häufig ein harmonisches Zusammenleben zwischen Christen und Juden in der Stadt.

1932 gehörten der jüdischen Gemeinde Lübbecke noch etwa 40 Gemeindeglieder an. Im Frühjahr 1938 war die Zahl durch Sterbefälle und Wegzüge um etwa 10 Personen gesunken. Nach dem Novemberpogrom in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, bei dem mehrere Wohnhäuser jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger zerstört wurden und die Synagoge niederbrannte, sank die Zahl weiter. Letzte Zwangsverkäufe („Arisierungen“), Umzüge Lübbecker Jüdinnen und Juden innerhalb Deutschlands und Fluchten ins Ausland fallen in diese Zeit. Spätestens Anfang 1942 galt Lübbecke nach damaligem Sprachgebrauch als „judenrein“.

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Die Katholische Kirche in Lübbecke im Jahr 1935. Foto: Stadtarchiv Lübbecke, Sammlung Egger

1961 wurde ein Gedenkstein am „Platz der Synagoge“ eingeweiht. Eine intensive Erinnerungskultur und damit die Aufarbeitung der Gräuel der NS-Zeit setzte jedoch erst zögerlich ein. So engagierte sich beispielsweise der DGB mit jährlichen Kranzniederlegungen am Gedenkstein. Im Zuge der Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus gründete sich Mitte der 1980er Jahre die Arbeitsgemeinschaft „Geschichte der Juden in Lübbecke“. Mit personeller und finanzieller Unterstützung der Stadt Lübbecke entstanden mehrere Publikationen über die Geschichte und das Schicksal der hiesigen jüdischen Gemeinde. Auch fanden auf Einladung der Stadtverwaltung Treffen ehemaliger jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger bzw. derer Nachkommen in Lübbecke statt. In ihrem Beisein konnte 1986 vor dem Gedenkstein noch eine Bodenplatte mit den Namen der betroffenen jüdischen Familien eingeweiht werden.

Es entwickelte sich das Anliegen der Bevölkerung, jährlich am 9. November in einer Gedenkveranstaltung an die Opfer des NS-Terrors zu erinnern. Diese inzwischen als „Weg der Erinnerung“ bekannte Veranstaltung unter Federführung der Stadt Lübbecke bindet heute neben dem DGB u. a. auch die Stadtheimatpflege, die Ev.-luth. und die Kath. Kirchengemeinde der Kernstadt und die weiterführenden Schulen ein.

Das Thema für den jährlichen „Weg der Erinnerung“ wird im gemeinsamen Vorbereitungskreis festgelegt und von den beteiligten Schulklassen vorbereitet. Die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema erfolgt dabei unter archivpädagogischer Betreuung durch das Stadtarchiv. Dadurch wird den beteiligten Schülerinnen und Schülern ein persönlicher Zugang zu dieser erschütternden Zeit der deutschen Geschichte und der Lokalgeschichte ermöglicht. Zudem kann vermittelt werden, welche Chancen eine aktive Einbindung in die gesellschaftlichen Belange und eine mündige Bürgerschaft bieten. So greift der „Weg der Erinnerung“ das auf, was die Bodenplatte am „Platz der Synagoge“ fordert.

Neben dem Gedenkstein, der Bodenplatte und dem „Weg der Erinnerung“ gibt es in Lübbecke über das Stadtarchiv und die Angebote von Lübbecke Marketing noch weitere Angebote, sich mit der Geschichte der jüdischen Gemeinde Lübbecke und der NS-Zeit auseinanderzusetzen.

Quelle: Stadt Lübbecke