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Gewalt gegen Kindern zu erkennen braucht Wissen und Empathie

Minden-Lübbecke -

Fachtag Gewalt gegen Kinder
Kinderschutz-Fachtag noch vor dem Corona-Ausbruch im Mühlenkreis: stehend von links Jana Taake (§8b-Fachkraft Kreis-Jugendamt), Prof. Dr. Anette Debertin (MH Hannover), Petra Hartmann (Beratungsstelle für Schul- und Familienfragen), Dr. Ralf Niermann (Landrat), sitzend von links Astrid Krämer (Wildwasser Minden e.V.) Birgit Bönig (ASD-Leitung Jugendamt der Stadt Minden), Heide Kluck (Dipl.-Psychologin JWK). Foto: Janine Küchhold - Kreis Minden-Lübbecke)

Sexualisierte Gewalt und körperliche Misshandlung gegen Kinder und Jugendliche sind Themen, mit denen Mitarbeitende der Jugendämter, Beratungsstellen und Gerichte immer wieder konfrontiert werden und damit fachlich umgehen müssen. Die Berufsgruppe gegen sexuellen Missbrauch im Kreis Minden-Lübbecke und die Jugendämter des Kreises Minden-Lübbecke, der Stadt Minden und der Stadt Porta Westfalica hatten daher kürzlich zu einem Kinderschutz-Fachtag in das Preußenmuseum eingeladen.

„Als Verwaltungsleiter weiß ich, dass die in unseren kreisweiten Jugendämtern beschäftigten Fachkräfte häufig schwierige und emotionale Arbeitssituationen bewältigen müssen. Ich habe großen Respekt davor, wie professionell und umsichtig sie mit dem Thema umgehen,“ sagte Landrat Dr. Ralf Niermann in seiner Begrüßung. „Nur in einem gut funktionierenden Netzwerk können im Falle einer Kindeswohlgefährdung die helfenden Systeme und alle vorliegenden Erkenntnisse zusammengetragen werden, um aus vielen Puzzleteilen ein aussagekräftiges Gesamtbild entstehen zu lassen. Dazu gehört ganz viel Empathie und Nervenstärke. Jede hier anwesende Fachkraft ist Teil dieses Netzwerks“, so der Landrat weiter.

Hauptreferentin des Fachtags war Prof. Dr. Anette Debertin vom Institut für Rechtsmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover. Ihr Vortrag hatte hauptsächlich das Ziel, für die pädagogischen Fachkräfte aus Jugendämtern und Beratungsstellen typische Verletzungsmuster und Anzeichen bei körperlicher und sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Wort und Bild zu beschreiben und herauszuarbeiten, wie fremdbeigebrachte Verletzungen von Unfall- und Sportverletzungen unterschieden werden können.

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In Deutschland sterben jährlich etwa 150 Kinder an den Folgen körperlicher Gewalteinwirkung, das sind pro Woche etwa drei Kinder. Besonderes Augenmerk legte Debertin neben Verletzungsmustern durch Schläge auf das Schütteltrauma und seine lebensgefährlichen Folgen sowie auf Verbrennungen und Verbrühungen. Auch das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom, bei dem enge Bezugspersonen das Kind bewusst schädigen oder krank machen, um dann als verantwortungsvoller und um das Kind bemühter Elternteil wahrgenommen zu werden, wurde thematisiert.

Besonders sensibel sei der Umgang mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt, denn hier seien in über 90 Prozent der Fälle keine körperlichen Spuren oder Verletzungen festzustellen. Vor allem die Rechtsmediziner*innen haben eine verantwortungsvolle Aufgabe beim Umgang mit Betroffenen. „Die Rechtsmediziner*innen nehmen sich sehr viel Zeit und sind sehr sensibel bei Untersuchungen und Spurensicherung, vor allem bei Kindern. Das Untersuchungszimmer ist kindgerecht gestaltet, im Gespräch wird zunächst eine angenehme Atmosphäre hergestellt, damit die Kinder und Jugendlichen sich sicher fühlen können“, so Debertin.

„Junge Menschen als Betroffene im Blick zu behalten und ihre Interessen zu vertreten ist eine verantwortungsvolle Aufgabe“, sagt Mitveranstalterin des Fachtages, Petra Hartmann, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in der Beratungsstelle für Schul- und Familienfragen im Kreis Minden-Lübbecke. Die Konfrontation mit Kindesmisshandlung und sexualisierter Gewalt gehöre zum Alltag von Personen, die beruflich Umgang mit Kindern und Jugendlichen haben oder, wie alle Mitarbeitenden der Jugendämter, ein staatliches Wächteramt ausüben. Für die Gesprächsführung und den Umgang mit den Betroffenen und deren Eltern sei eine gute Schulung essentiell. „Nur wer sich hier sicher fühlt, wird den Mut haben, genau hinzusehen und kritisch nachzufragen“,  so Hartmann weiter.
(Text: Janine Küchhold - Kreis Minden-Lübbecke)