Der Auerochse: Ein Wildrind ist zurück
Dümmer See -
Wir fahren mit dem Fahrrad durch ein Naturschutzgebiet zwischen Hüde und Lembruch unweit des Dümmer Sees und werden auf ein Schild mit den Worten „Achtung, BULLENWEIDE, Betreten verboten“, aufmerksam. Wir schleichen uns näher heran und sehen zu unserer Überraschung Urviecher aus vergangenen Zeiten. Wer jetzt noch die Weide betreten möchte, ist selber schuld.
Der Auerochse wurde 1627 vollkommen ausgerottet. 300 Jahre nach dem Verschwinden der Tiere sind sie wieder da. Zu verdanken ist dies den Gebrüdern Heinz und Lutz Heck aus Berlin und München, die aus primitiven Hausrindrassen den zurückgezüchteten „Auerochsen“ wieder zum Leben erweckt haben. Das Wildrind hat vor allem in der Landschaftspflege Bedeutung erlangt. Das Augenmerk der Züchter von heute richtet sich vermehrt auf möglichst wildtierhaf-tes Verhalten und die Integration der Herden in großflächigen Weidelandschaften.
Auerochsen aus den Rückzüchtungen der Gebrüder Heck wurden bis Anfang der 1980-er Jahre nur in Tierparks und Wildgehegen gehalten. Im Laufe der Zeit haben aber immer mehr Landwirte und Züchter die Wildrinder zur ökonomisch extensiven Grünlandbewirtschaftung entdeckt. Einer von ihnen Martin Kockmeyer. Der Museumstechniker für Geologie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Urviechern aus vergangenen Zeiten und nennt inzwischen 40 Tiere sein Eigen.
Wir haben den Züchter aus Leidenschaft in Niedersachsen in einem Naturschutzgebiet am Rande des Dümmer See besucht. Der Chef der Herde, der 15-jährige Bulle „Arak“, kennt seine Pappenhei-mer, lässt Martin Kockmeyer auf die Weide und holt sich seine Streicheleinhei-ten ab. Den Fotografen würdigt er keines Blickes. Und da es vom Züchter nichts zu futtern gibt, begibt sich der Bulle ganz ruhig wieder zu seiner Herde zurück.
Wie Martin Kockmeyer berichtet, gilt der Auerochse als Stammvater aller 500 Haustierrassen. Seine Tiere leben das ganze Jahr über im Naturschutzgebiet draußen und können sich dank des prächtigen Bullen Arak (15) in einem naturbelassenen Lebensraum vermehren. Die Kälber kommen meistens ohne menschliche Hilfe auf die Welt. Sollte es aber doch einmal zu Schwierigkeiten bei den Geburten kommen, dann spielt Martin Kockmeyer gern auch mal den Babysitter. So wurde auch schon einmal ein Kalb, das vom Muttertier nicht angenommen wurde, von ihm mit der Hand aufgezogen. „Zum Glück kommt so etwas aber nur ganz selten vor“, schmunzelt Martin Kockmeyer. Ziehkind „Ditti“ (2) hat den Babysitter auf zwei Beinen aber nicht vergessen und lässt sich nach wie vor von ihm kraulen.
Die Kälber bleiben über ein Jahr beim Muttertier und wachsen spielend in die Herdenhierachie hinein. Die Herde von Martin Kockmeyer besteht aus Kühen und Bullen aller Altersstufen und besitzt eine ausgeglichene Sozialstruktur. Die Rasse hat als entscheidendes Merkmal sehr gute natürliche Instinkte zur Aufzucht ihrer Kälber. Körperliche Nähe und gegenseitige Fellpflege sind sichtbare Zeichen von engen Bindungen. Träume sind Schäume. Das mag oft stimmen, aber nicht immer. So hegt Martin Kockmeyer einen Traum, der vielleicht irgendwann einmal in Erfüllung gehen wird: dass Auerochsen wieder in Freiheit leben können. (Text und Fotos: Presse-BILD-Agentur Nokem Martin Kemper)